Biografie von Thomas (Name geändert) - Betroffener

Vertiefung der Persönlichkeitsstabilisierung

1 Ich mache mir klar, was Alkoholabhängigkeit/Sucht für mich bedeutet

Ich habe den Alkohol benutzt, um lockerer, mutiger und selbstsicherer zu werden. Einfach um mich besser zu fühlen.

1.1 Die Entwicklung zur Abhängigkeit vollzieht sich bei mir schleichend und unauffällig.
a) Kennzeichen sind folgende Entwicklungen:

  • Ich habe ab der Lehre am Wochenende mit dem Trinken angefangen, um dazuzugehören, in guter Stimmung zu sein, mitzumachen, und um kein Außenseiter zu sein.
  • Nach der Lehre auf dem Bau gehörte Bier einfach dazu, Vesperbier, Mittagsbier, Feierabendbier und am Wochenende mehr.
  • Vater und Opa tranken ca. vier bis sechs Bier am Tag und am Wochenende mehr. Am Wochenende bekamen beide in Bierlaune öfters Streit, da mein Vater es dem Opa oft nicht recht machen konnte. Ich versuchte dem Streit aus dem Weg zu gehen. Als ich ein Moped hatte, war ich am Wochenende, wenn es ging, oft unterwegs. Bei den Kumpels fühlte ich mich wohler, als zu Hause. 
  • Ich wuchs mehr oder weniger bei der Oma auf, obwohl meine Eltern im Haus wohnten. Zu meinen Eltern fand ich nie einen Zugang. Mein Bruder war nicht so oft bei der Oma. Für meinen Bruder war ich verantwortlich. Mein Bruder konkurrierte mit mir um Zuwendung bei den Eltern. Dadurch war das Verhältnis immer gespannt. Angenommen und sich wertgeschätzt zu fühlen als Person, war für mich ein Fremdwort. Bei den Eltern ging es immer nur darum, ob ich was richtig oder falsch gemacht habe. Heute ist mir klar, dass dies der Grund war, weshalb ich mich bei den Kumpels wohler fühlte. Dieses Wohlfühlen stand immer in Verbindung mit dem gemeinsamen Trinken. Der gute Kontakt zu den Kumpels in Verbindung mit dem Trinken war für mich so eine Art Vater und Mutter Ersatz. Dort fühlte ich mich akzeptiert und wichtig genommen. 
  • Bei den Eltern habe ich so gut wie nie Dinge geklärt, ich habe es einfach runtergeschluckt, habe mich zurückgezogen oder bin davongelaufen. 
  • Bis heute ist es so, dass ich mich gern zurückziehe, mit den Hunden gerne weglaufe, um meine Ruhe zu haben. Es fällt mir schwer, Dinge zu klären, wenn es Widerstand gibt.
  • Später: Um meinen Konsum zu verheimlichen, habe ich sehr oft gelogen und es verharmlost. Dieses schon lang gelernte Ausweichen konnte ich problemlos beim Alkohol anwenden. 
  • Ich verharmloste mein Trinkverhalten mit der Ausrede: Andere trinken doch mehr als ich.
  • Meine Frau sagt mir über ein bis zwei Jahre, mein Trinkverhalten sei nicht mehr normal. Dann kam es immer zum Streit. Meine Reaktion war dann meistens: Ich redete mein Trinkverhalten klein und gleichzeitig reduzierte ich mein Trinken. So wollte ich mir beweisen, meine Frau hat Unrecht. Doch nach einiger Zeit war mein Trinkverhalten wieder auf dem alten Trinklevel.
  • Ich habe mich in die Arbeit gestürzt, um nicht kontrolliert werden zu können und so hatte ich immer eine geniale Begründung, um den Konflikten ausweichen zu können. 
  • Die Arbeit nahm ich überwichtig, da habe ich mir meine Wertschätzung geholt. Das Trinken war dann schon lange dabei, mit bis zu zwei Flaschen Wein und zuletzt zwei bis vier 0,1l kleine Schnäpse. Ich habe mir lange etwas vorgemacht, ich meinte, dass ich jederzeit mit dem Trinken aufhören kann, da ich vor Jahren mal in der Fastenzeit nichts getrunken habe. So habe ich mir beweisen wollen: wenn ich aufhören will, dann kann ich es. Damals war mir nicht klar, dass es nicht nur um das Aufhören geht, sondern vielmehr um das dauerhafte Aufhören. Das ist schon eine ganz andere Nummer. Heute weiß ich, es gibt nur einen Schutz, das ist der Lebensstil mit der Abstinenz.
    Der neue Lebensstil ist am besten zu leben, in dem ich den Dreier-Schritt mit Akzeptanz, Bindung und Bildung praktiziere. Das schaffe ich nur mit den anderen in der Gruppe. Denn alleine tue ich mir sehr schwer zu lernen und noch viel schwerer, mich zu trennen von meinen schädlichen Gewohnheiten, denn alleine erkenne ich sie oft nicht. Die Gruppe hilft mir bei dem Aufbau guter Gewohnheiten, vor allem durch Rückmeldungen. So erkenne ich meine alten Gewohnheiten und kann dazu Distanz halten und gleichzeitig meine guten Gewohnheiten aufbauen.

b) Persönlichkeitsabbau (Absturz und Tiefpunkt) durch meine Abhängigkeit.

  • Mein Tiefpunkt kam so zustande: Diesmal war es nicht der übliche Streit mit meiner Frau. Meine Frau drohte nicht nur mit dem Auszug. Sie war fest entschlossen auszuziehen, da sie durch die ganze Situation seelisch am Ende war. Dies gab meiner Frau die Kraft zu sagen: Ich mache so nicht mehr weiter. Sie sagte mir klar und deutlich: wenn du dir nicht Hilfe suchst, dann kommst du einmal nach Hause und ich und die Kinder sind für immer weg. Das hat mir schreckliche Angst gemacht. Meine „Alleinsein-Angst“ steigerte sich zur Panik. Dann bin ich alleine, auch die Schulden vom Haus kann ich dann nicht zurückzahlen. Dann ist alles weg. Mein ganzes Schaffen wäre dann umsonst gewesen. Dann wäre alles für die Katz gewesen, meine ganzen Anstrengungen wären alle umsonst gewesen. Da merkte ich, dass mein überwertiges arbeiten mir nicht helfen kann.
  • Ich bin dann zum Hausarzt gegangen. Der überwies mich in die Psychiatrie nach Winnenden zur Entgiftung für drei Wochen. Ab dem Tag, als der Arzt mir die Überweisung in die Hand gegeben hatte, war ich abstinent, obwohl ich noch zwei Wochen auf die Entgiftung warten musste. Ab diesem Zeitpunkt bin ich bis heute durchgehend 13 Jahre abstinent. 
  • Änderung meiner negativen Lebensmuster: Obwohl ich abstinent war, hatte ich große Probleme meine Lebensgewohnheiten zu ändern wie: Ich wich dem Konflikt aus, meine Wertschätzung holte ich über das zu viele Arbeiten, was ich lange nicht so sehen konnte, da das normal für mich war. Ich war seelisch unausgeglichen. Meine Bedürfnisse waren für mich immer noch fremd. Ich wollte immer nur alles recht machen. Doch die übermäßige Anspannung wurde ich nicht los. 
  • Freie Suchtselbsthilfe Nördlingen: Obwohl ich durchgehend abstinent war, hatte ich das Gefühl, ich drehe mich im Kreis, ich habe nichts verändern können. Seit acht Jahren bis heute gehe ich in die Freie Suchtselbsthilfe Nördlingen. Hier kann ich mein Leben über den Dreier-Schritt verändern. Mit der Akzeptanz, vor allem mit der Bindung, die besteht aus: zu seiner Geschichte stehen, gut mit den eigenen Notständen umgehen, offen mit meinen schwächen umgehen und – ganz wichtig – wieder meine Scham überwinden können. Der dritte Schritt ist die Bildung, denn nur wenn ich weiß, wie ich mein Verhalten ändern kann, kann ich mein gesundheitsverhalten dauerhaft verbessern, trotz aller Belastungen. 
  • Heute ist mir klar, eine gute Veränderung ist ein lebenslanger Prozess. Zuletzt möchte ich eine Sache herausgreifen: Wei bei allen Suchtkranken ist es mir wichtig, dass ich mit Stress und selbst gemachtem Stress besser umgehe. Dafür brauche ich den Anderen und die ehrlichen Vorbilder der Gruppe. Mir hilft sehr, wie ich von anderen gesehen werde, weil ich mein altes Verhalten oft nicht selbst erkennen kann und durch andere bekomme ich Kraft. Auch kann ich Belastendes an Gott abgeben.

c) Ich benutzte den Alkohol, um folgende Wirkungen zu erzielen:

  • Um meine Selbstsicherheit zu steigern.
  • Der Alkohol war mein Freund, um mich zu trösten, zu ermutigen, zu belohnen… .
  • Um lockerer zu werden, lockere Sprüche, usw.
  • Um negative Gefühle wie Angst, Scham, Wut und Frust zu betäuben.

2 Schriftliche Rückmeldungen von Bezugspersonen.
a) Schreibe alle schriftlichen Rückmeldungen Deiner Bezugspersonen zusammen.

Ehefrau: Bei meiner Frau war ständig die Ungewissheit: wie kommt er heute wieder heim? Sie wusste nicht mehr, was sie machen soll, hatte Zweifel, ob es richtig war, mir das Trinken zu „verbieten“. Sie fühlte sich allein gelassen, ratlos, enttäuscht, kraftlos und hilflos. Den Gedanken an Trennung wollte sie nicht zulassen, denn unsere Kinder sollten nicht ohne Vater aufwachsen. Oft dachte sie: Ich habe genug, ich weiß nicht mehr weiter. 
Meine Frau sagt mir auch: Sie könne mir eine reinhauen, wenn ich bei einer Diskussion dasitze wie ein begossener Pudel und mir, wie so oft, nicht mehr einfalle, was ich noch sagen könne.
Wenn ich abends „stundenlang“ von der Arbeit erzähle, anstatt wie es mir geht, was ich denke und fühle, was mich beschäftigt, muss sie das Gespräch stoppen, da sie wütend wird, weil wir dieses Thema schon so oft besprochen haben, und dass sie diese ständigen Wiederholungen leid ist. Ich wurde dann immer sauer, denn jetzt erzähle ich schon von mir und ich mache ihr es schon wieder nicht recht. 
Heute bin ich dabei, dass ich bei meiner Frau nicht mehr ablade und sie mir nicht mehr zuhören muss, bis es mir besser geht. Obwohl ich schon 13 Jahre abstinent bin, bin ich gerade dabei zu akzeptieren: für mein gutes Befinden bin ich selbst zuständig. Diese neue positive Ausrichtung kam auch dadurch zustande, dass ich eine neue Gruppenleitung haben. Das A und O ist nun für mich, dass ich auf eine gute Körperenergie achte. Wenn ich daran denke, gehe ich an die Kreuzung zurück, wo ich falsch abgebogen bin. Ich baue meine Körperenergie etwa durch Tiefen-Atmung auf. So bekomme ich wieder Bindung zu mir, denn Bindung zu mir in Verbindung mit Akzeptanz steht jetzt an erster Stelle. Ich schaffe es dann etwa, aktiv zuzuhören, anstatt dagegen zu denken und gleichzeitig den Mund nicht mehr aufbekomme. 
So kann ich besser mit den Untugenden meiner Frau umgehen. Denn wenn ihr was nicht passt, fährt sie gerne aus der Haut. Das sah dann so aus, dass sie unendlich auf mich einredete, bis ich weggelaufen bin – etwa mit den Hunden oder in ein anderes Zimmer ging. Mit diesen Wutanfällen kann ich jetzt besser umgehen, wenn ich eine gute Körperenergie aufgebaut habe. Dann kann ich STOPP! zum Schreien sage und sagen: „Ich höre dir gerne zu, wenn du ruhig mit mir redest.“. Heute ist mir meine seelische und körperliche Gesundheit ganz wichtig und dazu brauche ich die Gruppe. 

Verwandte: Sie waren erschrocken und ungläubig über meine Entscheidung zur Abstinenz. Für meine Eltern gibt es bei mir kein Alkoholproblem. Für mein Trinken gaben sie meiner Frau die Schuld und mit ihnen habe das nicht zu tun. Die Eltern können gar nicht verstehen, dass ich immer noch in eine Selbsthilfegruppe  gehe, das müsse doch auch mal vorbei sein – absolutes Unverständnis. Wobei ein Neffe von meiner Mutter schwere Schäden hat, obwohl er nicht mehr trinkt. Es gibt auch ein „zu spät“. 

b) Schreibe so präzise wie möglich auf, was für Gedanken, Gefühle bei Dir hochkommen, wenn Du die Aufzeichnungen liest.

Gefühle zu meinem Ehefrau:

  • Es trifft mich sehr, wie meine Frau über mich dachte und wie sehr sie mich dafür gehasst hat.
  • Ich bin enttäuscht und wütend mit mir, weil ich das Trinkproblem so lange habe laufen lassen, obwohl ich schon lange wusste, dass mein Verhalten nicht mehr passte.
  • Ich bin froh, mich entschieden zu haben, abstinent zu sein. Erst seit kurzem bemühe ich mich ernsthaft, zu allen Familienmitgliedern eine gute Beziehung aufzubauen. Denn lange galt bei uns noch eine Parteienbildung. 

Gefühle zu meinen Verwandten:

  • Sie können nicht verstehen, dass ich zu meiner Weiterentwicklung die Gruppe brauche.

3 Was mache ich heute anders, anstatt meiner früheren Verhaltens- und Denkweisen und Gefühlsmustern?

Anstatt: Immer nett und hilfsbereit zu allem „Ja“ sagen.

Jetzt: Erst wenn ich eine gute Körperenergie habe, die ich mir aufbaue, auch mit der Gruppe, schaffe ich es, meine Komfort-Zone zu verlassen. So kann ich authentisch entscheiden, was wichtig ist.

Anstatt: Rückmeldungen dir mir nicht passen, als Kritik und Angriff auf mich zu sehen.

Jetzt: Gewohnheit kann ich nun verändern, da Akzeptanz und Bindung zu mir an erster Stelle kommen. Dann schaff ich es, Rückmeldungen nicht mehr persönlich zu bewerten. So kommt ein Lernprozess bei mir in Gang, der nicht mehr durch Panik, Gegenaggression, Wutausbrüche behindert wird. Richtig ist auch: nach wie vor brauche ich Rückmeldungen für eine Selbsteinschätzung.

Anstatt: Auf Vieles was mir nicht passt, reagiere ich wütend und aufbrausend.

Jetzt: Ich lerne immer noch, mich zu beruhigen, um dann klar über die Situation nachzudenken. Für eine gute Körperenergie zu sorgen ist nach wie vor das A und O. Erst dann denke ich über mögliche Lösungen nach.

Anstatt: Wichtige Anrufe und Termine vor mir herzuschieben ist normal.

Jetzt: Nur wenn ich Anrufe und Termine durch einen Tagesplan ordne, schaffe ich meine Gewohnheiten zu verändern.

Anstatt: Vor Absprachen und unangenehmen, klärenden Gesprächen auszuweichen und davonzulaufen (mit den Hunden).

Jetzt: Mein negatives Kopfkino bei Belastungen kann ich nur ändern, indem ich wie schon gesagt, für eine gute Körperenergie sorge. Hilfreich ist auch, wenn ich um Schutz und Gelingen beim Allerhöchsten bitte. So bin ich nicht mehr allein, mein Gott ist bei mir. Zurück zu Gott und zurück zu meiner Kraft. Sich trennen von dem Alten und Gutes aufbauen. Ich denke immer an die Wegkreuzung.

Anstatt: Meine Sichtweise und Meinung bedeckt zuhalten und lieber mal nichts sagen.

Jetzt: Ich bin in Gott geborgen. So kann ich die Meinung des Anderen ernst nehmen, mit Gottes Hilfe. Mit Akzeptanz und guter Bindung zu mir, lerne ich mich gut und angemessen zu vertreten, ohne dass ich Recht haben muss wie früher.

Anstatt: Ich war immer der Meinung, wenn es meiner Frau gut geht, wenn sie zufrieden ist, geht es mir auch gut. Ich bin schon aufgesprungen und wollte loslegen, da wusste ich noch nicht einmal, was sie eigentlich von mir will.

Jetzt: Heute spüre ich immer noch den Drang loszulegen, auch wenn ich noch gar nicht weiß, um was es geht. Auch hier gilt mit guter Körperenergie, mit Akzeptanz und guter Bindung zu mir – wie zu eigenen Notständen stehen können, mit Schwächen gut umgehen können – dann bin ich erst mal bei mir. So löse ich mich von dem voreiligen Gehorsam, ICH und nicht meine Frau ist für mein Befinden zuständig.

4 Beruhigung  
Jetzt kommen wir zum wichtigen Schritt: schreibe auf, wie Du Dich beruhigst/entspannst, locker machst, damit Du immer wieder anstatt wie früher zu reagieren, zu fühlen und zu denken, Dich besser verhältst und Du dich dabei auch wohler fühlst.

Das Negative/der Saboteur drängt sich auf. Wir können immer wählen zwischen Bejahender und Verneinder Stimme. Je mehr ich mich auf das fixiere, was mich behindert, auf meine Unfähigkeit, auf meine Fehler, Sorgen und Schwäche, desto resignierter werde ich. Es ist wichtig, dass ich lerne meine negativen Stimmen wahrzunehmen. Eine negative Stimme von mir die ich wahrnehme ist z.B.

Ich meine, ich habe etwas verstanden und habe gar nicht richtig zugehört. 

Das verbündete Ja (Akzeptanz, Bindung und Bildung) äußert sich nicht gleich und sofort. Ich kann mich auf das Ja nur ausrichten in einer ruhigen, inneren Haltung. Wenn ich Abstand/Gelassenheit habe und zur Ruhe komme, finde ich für mich eine gute Lösung.

Zentrale Aussage zum Punkt der Beruhigung:

Stressforscher sagen: „Wenn ich eine kritische Situation gleich zu Beginn gedanklich durch ein Ja entschärfen kann, vermeide ich heftige, schädliche, langfristige Stressreaktionen.“

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